Und dann war doch über Nacht der Schnee gekommen und alles war sofort wie in Fargo. Ich stakste mit dem Fegebesen ums Auto herum und wenn ich vorne angekommen war, war hinten schon wieder alles zugeschneit. Morgens tat mir das Kind so leid, denn ich war ein furchtbar schlechter Wecker, rumpelte extra laut im Raum herum, sprach wie ein Spinner mit mir selbst und machte all den querulanten Scheiß, um für mich – selbst so furchtbar müde – und alle anderen das Starten eines neuen Tages anzusagen. Morgende als Ende der Nacht fand ich immer schon deprimierend. Da ich schon wieder noch halbnachts aufgestanden war, war mein Morgen heute eine unklare Zeit und mein Timing war schlecht und der Schnee zwang zum schleichen.

Ich war in einer kleinen Schreibmanie und das Problem war wieder die fehlende Zeit dafür. Also war ich unrastig und niemand, nicht der stöbernde, schöne Schnee, noch das müde, müde Kind konnten was dafür. Ich schleifte mich durch die Tage, lief insgesamt nicht richtig rund, der fehlende Schlaf hatte erste halbhalluzinogene Effekte, es flirrte und flimmerte manchmal hinter der mit Tesa zusammengehaltenen Flickbrille und ich müsste mich nur einfach echt mal fürn Stündchen hinlegen, dachte ich. Das Wetter draußen sah aus, wie eine Erlaubnis dafür, aber in mir war gar nichts gemütlich, mein Gemüt war zerfranst und fast wieder verdrießlich. Ich war wieder nur Hülle, ein Pappmensch in so einer Phase, mein Körper war eine behelfsmäßige Einfassung für die sich gerade noch so durch alles durchrührende Arbeit des Kopfes. Immer läuft der Text im Kopf mit. Alles, was noch Vortext ist, fern guter Worte oder ganzer Sätze, lagert man als Bilder, Brocken und blödes Gebrabbel erstmal irgendwo ab, als eine Randnotiz, an die man andermal vielleicht wieder ran müsste, die dann aber im Schubfach versauert, sich zerdenkt und zersetzt, deprimierend banal und keinen Folgegedanken mehr Wert wird.

Also eigentlich alles wie immer, dachte ich, ein kleines, leichtes bisschen heiterer dabei sogar, und irgendwann rief die Frau von der Druckerei an und ich hatte – in den freien Minuten zwischen Parkplatz und Arbeit – Mühe, mich zusammenzuhalten und ihr mit genau jener Zugewandtheit zu begegnen, mit der sie mit mir über die neuen Andrucke sprechen wollte. Ich sagte, dass alles prima sei und so gedruckt werden kann, irgendwie unnötig haspelnd hatte ich sie zugeschachtelt schien mir, jedenfalls schwieg sie kurz und ich wusste nicht, ob sie mein Gesagtes sacken ließ oder ob sie nebenher schon die nächste, viel wichtigere, unverkorkstere Mail von einem ganz normalen Auftraggeber las.

Auf den Straßen schlichen die Lichter und nachdem ich – es fing schon an zu tauen – zwischen anderen Eingeschneiten vor der Arbeit geparkt hatte, war kurz sowas wie Ruhe in mir, im stillen Chassis unter dem um mich herum von den Scheiben schlierenden Schneesorbee. Ich löste den Gurt, die Tür schlotzte aus der Dichtung, ich wusste nicht, ob man einen Parkschein lösen oder eine blaue Uhr ins Fenster legen sollte, keine Schilder waren sichtbar, alles war hell und weiß und ich war bereit, immerhin dem Tag, als neuen Stapel irgendwelcher Stunden, jetzt doch noch freundlich, vielleicht sogar sowas wie zugewandt, zu begegnen.



Martin Hiller hat mit „Frau Elster und der eingestickte Wal“ ein radikales, zärtliches Buch über den Tod des eigenen Sohnes geschrieben. Diese Einträge berichten von der Zeit nach seiner Fertigstellung.

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