An den Büroabenden verpacke ich am Küchentisch Bücher für den Versand an unerwartete Orte. Von überall her schreiben lange nicht gelesene Freunde und Freundinnen – sofort dieser Ohrwurm, Mutter: auch im Buch taucht diese Band kurz auf – und bestellen das Buch. Dass alle jetzt auftauchen, fühlt sich gut an. Ähnlich wie bei seiner Beisetzung Ende August im letzten Jahr. Da kam das Pack wieder zusammen. Es war ein großes Bild, als von allen Friedhofswegen her die kleinen Grüppchen verschiedener Reisegemeinschaften angetrottet kamen. Viele kamen von auswärts, viele hatten Karl nie gesehen, es waren die Coronajahre, alle waren woanders, isoliert und verstreut in ihre eigenen Leben. Und dann waren wir so viele und in die Trauerhalle drang von draußen das klischeegemäß im richtigen Moment der Zeremonie auftauchende Licht.

Morgens gebe ich die Bücher als BüWas auf und während diese günstige, aber unterpriorisierte, langsame Post durchs Land kriecht, malern wir mein kleines Rumpelzimmer – auch so ein Ort im Buch – und ich fahre am Nachmittag mit meinen Sprenkelhänden zum Brotjob und höre auf diesen Radwegen seit langem mal wieder Musik. Die Musik schiebt mich voran, es pumpt und dröhnt und treibt, wie damals, als Musik so ein Thema war – auch dazu gibt es zahllose Stellen im Buch.

Und in den Minuten zwischen allem, überlege ich, wie ich dieses Buch elegant und ohne zu nerven ins Internet stellen kann. Und dann die einfache und der weiteren Trauerarbeit natürlich nur zuträgliche Idee: ich poste genau die Textstellen, die ich vor genau einem Jahr geschrieben hatte. Am 25. Juli war Karl seit neun Tagen nicht mehr bei uns, das Buch war schon mit dreissigtausend Zeichen vollgetrauert, aber das Schreiben suchte sich noch. Es war noch das rastlos ratlos Rausrattern. Und dann machte ich mit meinen Malerhänden diese Fotos von den Buchpassagen, stellte sie ins Internet und fand meine Hände auf den Fotos fast noch privater als dieses schonungslos autobiografische Buch.


Martin Hiller hat mit „Frau Elster und der eingestickte Wal“ ein radikales, zärtliches Buch über den Tod des eigenen Sohnes geschrieben. Diese Einträge berichten von der Zeit nach seiner Fertigstellung.

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