Am Vormittag war ich mit Paul beim Arzt. Die Stadt war noch grau und leer, die Marktbuden wurden gerade erst aufgeklappt, es hatte kurz gepiekt, aber das Kind hat kaum geweint.
Zuhause schrieb ich einige Nachrichten und verpackte die ersten Buchbestellungen. Von den damals ins dumpfe Schweigen der Verlage geschickten Manuskripteinreichungen hatte ich noch ein paar Großbriefumschläge übrig. Ihr packpapierbraunes Flachsein brachte auch wieder so ein kurzes Blitzbild aus jener Zeit in mir hoch.
Mittags gingen wir eine Bowl essen. Auch der Bowlladen ist ein Ort im Buch. C. hatte am Morgen darin angefangen zu lesen und hatte es dann weinend weglesen müssen. Der Einstieg ins Buch ist so heftig, es geht sofort mit seinem Tod los. Für mich war das, da ich schon drei Mal durch den Text gegangen war, auf groteske Weise völlig normal so. Obwohl natürlich nichts normal ist an dem, weshalb ich dieses Buch geschrieben habe. Auch die Freunde hatten geweint, sagten sie. Jetzt ist dieses gute Buch in der Welt und die Welt weint wegen ihm. Ein seltsames Gefühl, das aber nichts an der Verbundenheit, die ich zu dem Text habe, ändert.
Nach dem Essen ging ich über den Markt zur Post und die Großbriefe waren wieder zu groß und der angestrebte Versandtarif wurde um ein paar Millimeter oder einige Gramm nur verpasst. In der Tat ist das Buch fast einen Kilogramm schwer. 827g zeigte die Digitalwaage am Postschalter und die Frau lächelte und sagte, als eine Art Witz, „Schwere Lektüre“, was furchtbar wahr war und ich lächelte etwas krumm, aber nicht falsch zurück. Sie wusste nicht, dass das Bücher über den Tod meines Sohnes darin waren. Aber sie hatte Recht und ihr Wirken, ihr Wiegen der Schwere meines Buches, war ein Teil dieses aufregenden Indieweltgehens des endlosen Textes. Diese drei Digitalziffern gaben mir ein gutes Gefühl. Schon sehr früh, im Schreiben in den ersten Wochen der Trauer, wollte irgendwas in mir, dass es ein großes, schweres Buch werden müsste. Jetzt, ein Jahr später, steht das Buch in Kartons im Flur und alles weint und ich lese an jeder Straßenecke in meinem Exemplar, das ich wie einen heilsamen Brocken überallhin mit mir herumschleppe.
Martin Hiller hat mit „Frau Elster und der eingestickte Wal“ ein radikales, zärtliches Buch über den Tod des eigenen Sohnes geschrieben. Diese Einträge berichten von der Zeit nach seiner Fertigstellung.
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