Gestern war ich noch im Buchladen und hatte am Grabbeltisch leichte Reisebücher für kleines Geld gekauft, darunter Autobiografisches von Manfred Krug und Mike Krüger. Wenn gar nichts geht, geht sowas immer. Auch im Krankenhaus mit Karl hatte ich ein, zwei dieser Wühltischbücher weggelesen. Überhaupt hatte ich dort viel gelesen. Auch dieses Lesen war im Schreiben meines Trauerbuchs immer wieder Thema. Der Bücherwagen im Krankenhaus: einer der Fixpunkte im System der Anker und Orte, die man als Trauernder immer wieder besucht.
Ich hatte Manfred und Mike dann gleich ins Handgepäck gepackt, wollte auf der Fähre gleich grob mal durchfliegen, aber mit Urlaub war dann nichts – Paul hatte nachts Fieber bekommen. Das Mittelohr ist gerötet und die Wetterprognosen waren auch schlecht. Also blieben wir zuhause und fuhren nicht für eine Woche Zelten im Regen. Die Enttäuschung war eher klein und wir dümpelten angenehm entschleunigt durch diesen von allem Reisestress plötzlich freigestellten Tag. Zum Mittag gab es Linsen und danach hatte ich auf dem Sofa erstmal anderthalb Stunden im Sitzen geschlafen. Vom Fieber war Paul sehr heiß und sehr hungrig, aß schüsselweise von diesen Getreidefruchtkringeln, während ich nebenher ein bisschen verstreute Notizen, Listen und Buchbestellungen abarbeitete.
Draussen war es am späten Nachmittag warm und grau, und der Regen war ausdauernd und leise. Ich holte Sachen aus dem unverreisten Auto, das Kinderplanschbecken lag kopfüber im Garten, die Schnecken kamen aus den Hecken und ich hatte spätsommerlich-friedliche, und andere, an die Kindheit zurückkoppelnde Bindestrichgefühle.
Eigentlich war es ein Tag, an dessen Ende man in die Wanne gehen sollte, aber dann war ich wieder im Text gelandet, schrieb diesen kleinen Text über den Urlaub vom Urlaub, und schlug nochmal im Buch nach, wie das Baden darin war. Das erste Vollbad nach Karls Tod war damals auch etwas, das sich seltsam angefühlt hatte. Es war genau vier Wochen her und es fühlte sich, als eine Art Freizeit und Mußestunde, so deplatziert an, wie als wir das erste Mal nach seinem Tod auf dem Sofa saßen und seichten Scheiss im Fernseher rieseln ließen. Und jetzt steht alles darüber in diesem Buch und manchmal frage ich mich, ob ich mich darin zu sehr nackt mache. Was zum Beispiel die Kita-Erzieherin denken muss, die mich gestern am Wühltisch so rührend an ihren Leseeindrücken hat teilhaben lassen. Aber dann fühlt es sich immer wieder völlig richtig und gut so an, dass ich in diesem Buch von all diesen Dingen schreibe: wie viele Bücher und Bier ich mit in die Badewanne nehme, wie ich immer wieder zum Krankenhaus fahre, dort die Flure entlang wandle und durch die Schnulzen im Bücherwagen flippe, wie ich in früheren Jahren Klopapier an der Uni geklaut hatte, und wie wir es als Familie bis hierher doch irgendwie ganz gut geschafft haben: im Leben zu bleiben, als Eltern unserer Kinder, von denen eines viel zu früh gestorben war.
Ohne die Reise würden Manfred und Mike jetzt erstmal ungelesen bleiben, aber auch das ist okay. Es ist gut, diese Rieselbücher rumliegen zu haben, als fixpunktfreie Schweiftexte für andere, leichtere Tage.
Martin Hiller hat mit „Frau Elster und der eingestickte Wal“ ein radikales, zärtliches Buch über den Tod des eigenen Sohnes geschrieben. Diese Einträge berichten von der Zeit nach seiner Fertigstellung.
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