Im IKEA ist der Wickelraum unten auch so ein Stich in seine Richtung. Dort war ich damals, vor zwei Jahren muss das gewesen sein, eine Weile mit den beiden Kindern. Es war wegen Corona alles anders, das Restaurant war geschlossen, die Hotdogs gab es nur draussen an einer Art Feldküche im Beton, der Wickelraum war groß und mit Sitzecke, und der Laden war leer. Also war ich einfach ein bisschen länger darin geblieben, während C. mit den Möbelmenschen am Computer Teile der Wohnung neu plante. Die Kinder robbten herum, es war die Zeit, in der sie wie kleine Ringer waren, bäuchlings sabbernd auf dem Boden herumwienerten und sich hinten und vorne hochbäumten. Ich liebte diese Zeit. Die Kinder waren nach den ersten Wochen handlich und knuffig geworden und man hob sie wie große Blumensträuße aus dem Wagen heraus und sie lachten uns bereits seit ihrem dritten Monat an.

Auch heute war ich wieder der tumbe, nebenher trottende Gatte, das bräsige Tier, der planlose Tropf. Ehepaare in Einkaufsläden: es ist immer das selbe Bild. Die Möbelhausgastronomie war geöffnet und ich aß eine am Ende des Tages dann doch irgendwie zu groß geratene Portion der Fleischbällchen mit Preiselbeermarmelade.

Unterwegs hörten wir Podcasts und die Windräder rührten in den Himmeln zwischen den Orten. Auch im Trauerbuch rühren die Windräder. Es ist endlos viel Natur darin, ständig dieses trostlos-pittoreske Diorama der um uns herum – obwohl unser Kind gestorben war – anscheinend einfach so weiter rotierenden Welt.

Die schweren Latten ließ ich erstmal im Kofferraum und raste los zum Job. Der Tag war eng getaktet und alles griff gut ineinander. Im Edeka kaufte ich wieder Kleinscheiss, Plattpfirsiche, Tropifrutti und Erdbeermilch. Der Einkauf war bunt auf dem Kassenband und sah aus, als bräuchte ich noch ein bisschen Übung im Leben. Das Tropifrutti war im Angebot, 77 cent die Tüte, und war jetzt wichtig, denn es war auch ein Stück aus der Krankenhauszeit mit Karl. Ich hatte damals ein Foto in den Familienchat gesendet. Auf einem Krankenhausbeistelltisch Tropfrutti, Automatenkaffee und eine Biografie von Curd Jürgens. Auch dazu irgendwo eine Stelle im Buch. Hunderte Stellen in diesem Buch, das wie eine Kartografie der ersten Monate meiner Trauer ist.

Ich war seit Tagen nicht auf dem Friedhof. Im Buch bin ich nahezu jeden Tag dort. Jene Monate des weiten Rumgeradels. Heute fuhr ich nur den regulären Rückweg in den regulären Feierabend. Die Sonne stand schon augustartig tief, ich fuhr durch Wolken aus Insekten in Kopfhöhe und den ganzen Tag schon holte das Mineralwasser immer wieder diese Düfte vom Köttbullar hoch.


Martin Hiller hat mit „Frau Elster und der eingestickte Wal“ ein radikales, zärtliches Buch über den Tod des eigenen Sohnes geschrieben. Diese Einträge berichten von der Zeit nach seiner Fertigstellung.

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