„Aber sie geloben Besserung, ja?“ sagte die Postfrau verschmitzt, als sie die aufgerissene Ecke der mit dem Buch ziemlich satt bepackten Versandtasche mit dem biberbraunen Paketklebeband flickte. Es war wieder ein ziemliches Gewese wegen der Packmaße und dieses Mal ging gleich am Schalter was kaputt. Sie sagte, sie schickte das jetzt so ab, aber wenn unterwegs wieder was aufrisse, müsse ich damit leben. Es war fast ein bisschen lustig, dass sie das sagte, da bei mir unterwegs ständig immer wieder irgendwas aufreißt – ich kenne meine Trauer und die Wege, die sie macht seit diesem letzten Jahr nur allzu gut. Und ich fragte mich, ob all die anderen in den letzten anderthalb Wochen losgesendeten Bücher auch alle in völlig zerpflückten Kuverts angekommen waren. Auch das passte irgendwie in mein Leben und ich war froh, dass die Postfrau sich all die Zeit für mich und meinen Trauerbuchstapel genommen hatte.

Diese erste, kleine Auflage dieses großen Buches über den Tod meines Sohnes ist damit nahezu ausverkauft. Viele Menschen halten dieses Buch jetzt in den Händen. Die, die sagten, sie könnten es nicht lesen, sie würden es emotional nicht verkraften, schreiben mir plötzlich, dass sie mittendrin im Text irgendwo sind, dass sie viel weinen, aber das es irgendwie auch geht. Ich bin auf komische Art dankbar, dass sie auch diesen Weg gewagt haben, hinein in diese in diesem Text geschilderte Welt, die jetzt unsere Realität ist. Dass die Liebe im Geschriebenen seinen Tod dann irgendwie doch lesbar macht, dass – viel genauer natürlich – sein Leben darin lesbar bleibt.

Auf dem Weg zur Post war ich mit dem Kinderwagen durch einen Haufen Hundekacke gefahren und war wütend, verärgert und hilflos. Diese Scheiße war nichts, das mir in diesen Tag gepasst hätte, aber irgendwie war auch alles egal und ich stocherte unter Würgereizen mit einem Stock das Grobe vom Reifen, wischte mit einigen Krepptüchern vom Bäcker den dünnen Rest vom Profil und schob nochmal endlos durch alle im Karree auffindbaren Pfützen.

Nach der Post war noch Zeit bis zum Mittag und ich schob mit Paul zum Norma. Auch der Norma ist immer wieder mal ein Örtchen im Buch. Ich schreibe davon, dass dieser Norma Quelle vieler meiner Werkzeuge war, und dass ich dort an New York denken musste, weil mich eine Arbeitskollegin, wenige Wochen nach Karls Tod, darin mit einem unbedarft-heiteren „Tach!“ flötend begrüßt hatte. Die Trauer geht viele Wege. Sie hört nie auf. Und im Buch ist schonmal einiges drin.

Den Weg zum Norma teilten wir mit einer älteren Dame. Paul sauste mit seinem Laufrad voran, wartete und ließ sich von uns überholen und jagte wieder los, treidelte, eiernd, aber nicht unsicher, haarscharf an unseren Hacken vorbei. Die Frau war wahrscheinlich etwas pumpenkrank, sie stand an der Hecke und hielt sich die flache Hand auf die Brust, wie eine feine Dame, war aber auch kurzatmig und schwitzte am Nacken. „Geht schon“, winkte sie ab, strahlte, und sagte, sie müsse zum Bus. Sie wisse nicht genau wann, aber irgendwie gleich müsste der kommen. Letztens war der ihr einfach vor der Nase weggefahren. Also hatten wir alle irgendwie das selbe Tempo, bestimmt vom Laufrad und dem Bus. Sie war reizend zu meinem Kind und es war eine dieser schönen kleinen zwischenmenschlichen Episoden und ich war fast ein bisschen traurig, als sich unsere Wege an der Haltestelle dann trennten und sie nach einem kurzen Blick auf den Fahrplan einen beruhigten Eindruck machte und ich mich am liebsten neben sie auf die Holzbank gesetzt und ein paar weitere Stories aus den weiteren Wegen unserer Leben getauscht hätte.

Man hat schon genug Scheiße am Hacken und da ist es einfach wichtig, dass die Menschen nicht alle völlig blöde zueinander sind, dachte ich dann, und dachte an all die ähnlichen Szenen im Buch und an eine in allem jetzt mitschwingende Mitmenschlichkeit. Im Norma hatte ich kurz überlegt, ob ich neue Metallbohrer, Blindnieten, Spannzwingen und Schlauchschellen brauche, kaufte aber nur Hafermilch und scharfe Chips und abends waren die Wolken im Himmel wie in einem Film von Michel Gondry.