Dass ich jetzt wieder voll drin war, im Sammelmodus der Inputs um mich rum. Wie im Buch. Das dachte ich, da so, mit einer Büchse Erdbeer-Aprikose-Billig-Energy, abends zwei nach neun, auf der Bank am Markt sitzend.
Im Buch gibt es auch diese Aufzählungen. Was auf den irren Sammelkarten stand, die mir der fremde Passant in den Schoß geworfen hatte. Wie die Dinosaurier heißen, die im Foyer des Naturkundemuseums stehen. Auch die sind tot, länger schon als Karl. Das war einer dieser lakonischen Sätze im Buch: auch die Saurier sind tot. Auch die Namen der ersten Pflanzen auf seinem Grab hielt ich fest, wie eine hilflose Poesie.
Und dann waren heute im Tierpark diese Schilder über die Viecher des Meeres. Auch die musste ich Aufschreiben. Weichwarzige Sternschnecke, Zottige Meersaite, Dickhörnige Seerose, Steinpicker, Schwimmgrundel, Blutroter Meerampfer, Goldmaid, Gelege vom Seehasen. Ihre Reihung war ein guter Klang. Genau sowas half mir damals in den ersten Wochen der Trauer. Dinge, die in sich stimmten. Die einen Sound hatten, der mich innendrin mit irgendwas verband. Verbundensein war sowieso etwas, das ich suchte, als trauernder Vater, Verbundenheit zu meinem gestorbenen Kind. Irgendwas Echtweltliches, irre irdische Vorkommnisse, alles, was meine aus allen Fugen geratene Welt irgendwie auszupegeln im Stande war, erreichte mich, „als irgendwas ganz Genaues innendrin“ – so steht es im Buch, auf irgendeiner Seite, im endlosen Text. Auch das Buch ist was Irres, was Echtes, was Weltliches. „Zwischen den Buchdeckeln bleibt das Kind in der Welt“ – das ist einer dieser Schlüsselsätze.
Vormittags war der Tierpark voll mit Omas und Opas und Enkeln. Der Esel und das Pferd sahen aus wie zwei Hallodris, Blumensträuße standen überall auf allen Tischen – die Blumensträuße machen Tierpark überhaupt erst so richtig gemütlich – und die Alpakas waren dünne Hipster. In der Zooschule schlotzte der Automat einen Kaffee für mich raus, aber er gab die 1,25 € Rückgeld nur in kleinen Münzen raus. Also hatten wir kein Eurostück für den bunten Hydraulikbagger und gingen dann gleich zu den Ziegen, die heute irgendwie rappelig drauf waren und so war es nur ein kurzer Besuch im Streichelgehege. Auch die Störche klapperten und machten sich groß. Auf dem Dach der Pampahasenhütte machte irgendein verrücktes Huhn einen Krach und es war, als fiele es, nach Tagen des Regens, allen irgendwie schwer, mit diesem neuen Wetter jetzt warm zu werden.
Am Nachmittag fuhren wir in die Pilze. Im Wald die volle Show: das Springkraut sprang, die Mistkäfer auf dem Kackhaufen in der Traktorspur glänzten wie was sehr Edles und die Beute war mau, aber das Rumstromern durchs Unterholz war echt und das reichte. Und abends war das Wetter in der Innenstadt dann mediteran und es waren Andeutungen jenes Vibrierens zu spüren, das aus Urlaubsorten springt, wenn die Läden langsam zu und die Cafés erst so richtig auf machen.
Und so saß ich da, mit meinem klebrigen Getränk gegen die immer noch andauernd andauernde Müdigkeit, angestochen von den Mücken, aber auch auf angenehme Art erreicht vom auf mich eindriftenden Drumherum der einfach so weiter rotierenden Welt. Und anders als in den ersten Monaten der Trauer, empfand ich das, dieses Weitermachen der Welt, jetzt – wo das Buch draussen ist – nicht mehr als einen ganz und gar ignoranten Affront und fuhr dann nach Hause, wo die handvoll Pilze noch ungeputzt im Körbchen in der Küche stand.
Martin Hiller hat mit „Frau Elster und der eingestickte Wal“ ein radikales, zärtliches Buch über den Tod des eigenen Sohnes geschrieben. Diese Einträge berichten von der Zeit nach seiner Fertigstellung.
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Kommentare
Der Sommer ist auch bei uns nochmal zurückgekehrt und eine Elster mit prächtig im Sonnenlicht glänzenden Gefieder giggerte aufgeregt im großen, alten Apfelbaum herum. Und ich las gerade im Buch.
KRYLL